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Gewerkschaften brauchen mehr Ressourcen für ihre Kernaufgaben

4. Februar 2019 durch
Gewerkschaften brauchen mehr Ressourcen für ihre Kernaufgaben
SBN Services, Sébastien Bourquin

Im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft mit den prognostizierten massiven Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt braucht es starke Gewerkschaften, die sich mit voller Kraft zusammen mit den Arbeitnehmenden für eine soziale Arbeitswelt einsetzen können. Zur Zeit schwächeln jedoch die meisten Gewerkschaften, welche aufgrund sinkender Mitgliederzahlen immer mehr nur noch dank ihrem Vermögen überleben. Kollektive Kämpfe für den Schutz der Arbeitsbedingungen respektive für die faire Verteilung von Unternehmensgewinnen zwischen den Kapitalgebern und den Arbeitnehmenden benötigen viele Ressourcen, welche heute kaum eine Gewerkschaft mehr allein aufbringen kann. Es ist höchste Zeit, neue Wege zu gehen.

Heute bieten die meisten Gewerkschaften ihren Mitgliedern zwei verschiedene Güter an. Jedes Mitglied kann individuelle Dienstleistungen nutzen, in erster Linie Rechtsberatung und -unterstützung für seine persönliche Arbeitssituation. Dazu werden je nach Gewerkschaft weitere Dienstleistungen angeboten, wie zum Beispiel kostenlose oder vergünstigte Aus- und Weiterbildung und/oder attraktive Produkte und Dienstleistungen von Dritten. Als zweites Gut erbringen die Gewerkschaften kollektive Dienstleistungen, in Form von Gesamtarbeitsverträgen, Lohnverhandlungen und Einsitz in Stiftungsräten von Pensionskassen. Und auch mit der Unterstützung bzw. Lancierung von politischen Vorstössen im Interesse der Arbeitnehmenden, dies bevorzugt über ihre Dachorganisationen.


Die Schweizer Gewerkschaften sind noch kaum auf die Idee gekommen, dass sie in der Kooperation untereinander am ehesten voneinander profitieren könnten.

Viele Gewerkschaften erbringen diese Dienstleistungen alle selber und mit ihren eigenen Mitarbeitenden. Vereinzelt werden gewisse Dienstleistungen auch extern eingekauft, wie zum Beispiel die individuelle Rechtsberatung oder die Verbandskommunikation. Doch bisher sind die Schweizer Gewerkschaften noch kaum auf die Idee gekommen, dass sie in der Kooperation untereinander am ehesten voneinander profitieren könnten. Meiner Meinung nach ist dies der einzige Weg, um ohne Fusionen und unter Wahrung ihrer Identität und Besonderheiten die Gewerkschaften in der Schweiz zu stärken.

Wo Kooperationen sinnvoll sind

Die Digitalisierung erlaubt es den Gewerkschaften, ihre individuellen Mitglieder-Dienstleistungen vermehrt in Kooperationen zu erbringen. Die Voraussetzung dafür bilden die CRM, welche die Gewerkschaften heute nutzen. Viele verwenden bereits heute Lösungen des gleichen Anbieters. Meiner Ansicht nach ist es sinnvoll, wenn mehrere Gewerkschaften sich zum Ziel setzen, ihre CRM-Lösungen näher zu rücken. Zum Beispiel indem sie die gleichen Versionen nutzen oder, was ich bevorzuge, gleich selbst ein gemeinsames CRM entwickeln lassen.

Auf der Grundlage von gleichen bzw. gemeinsamen CRM-Systemen lassen sich dann konkrete Kooperationen ins Auge fassen. So könnten dann bei mindestens gleichbleibender Qualität folgende Aufgaben gemeinsam erbracht werden:

  • Zentrale Anlaufstelle für Mitgliederanfragen über Telefon, Mail und Brief
  • Verwaltung und Inkasso der Mitgliederbeiträge
  • Rechtsberatung und -unterstützung
  • IT
  • Buchhaltung
  • Personaladministration
  • Kommunikationsdienstleistungen wie Drucksachen und Flyer

Mit kleineren Organisationen, die sich mit aller Kraft auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können, werden die Gewerkschaften wieder zu schlagkräftigen Körperschaften.

Kooperationen erhöhen die Qualität und machen Ressourcen für die politische Arbeit frei

Ich stelle mir vor, dass interessierte Gewerkschaften einen Teil oder sämtliche vorher genannten Aufgaben in eine gemeinsame Gesellschaft auslagern und dann als Kunden wieder in der gewünschten Menge und Qualität einkaufen. Die durch die Zusammenlegung der einzelnen Organisationseinheiten erzielten Skaleneffekte können für bessere Mitglieder-Dienstleistungen (zum Beispiel mit der Erweiterung der Erreichbarkeit der Hotline oder mit schnelleren Bearbeitungszeiten im Rechtsdienst) sowie für die Aufstockung der Ressourcen im politischen Bereich verwendet werden. Dank kleineren Organisationen, die sich mit aller Kraft auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können, werden die Gewerkschaften wieder zu schlagkräftigen Körperschaften. Und dies alles ohne Qualitätsverlust und unter Wahrung ihrer Identität.

Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die Gewerkschaften die Zeichen der Zeit erkennen und sich mit Kooperationen für die kommenden schwierigen sozialen Zeiten optimal aufstellen.